Die Zeit habe ich genutzt, um mich mit Literatur vormittags auf die Parkbank zu setzen. Das habe ich ritualisiert. Habe neue Gewohnheiten etabliert. Dazu gehörte auch das sehr regelmäßige Laufen. Möglichst alle zwei Tage geht es seitdem entlang der Elbe. Das hat mir damals sehr gut getan und geholfen, die erste Phase der Pandemie gut zu überstehen.
Wie ich das anstellen sollte, das wusste ich noch nicht. Als Aktivist hatte ich bisher keine Erfahrung. Was also tun?
Es brauchte ein Weilchen, ich übte mich in Geduld. Ruhe bewahren. Dann gab es diesen Moment. Warum irgendetwas in der Ferne suchen, nach der „Unbekannten Insel“, wie bei Jose Saramago. Fange ich doch damit an, was ich bereits beherrsche, wo ich oft Freude entwickelt habe in meinem Leben – von klein auf: das Gestalten. Visualisieren.
Ich öffnete Photoshop und legte los. Einige Jahre zuvor hatte ich mal ein Projekt, in dem ich historische Fotos von bekannten Hamburger Orten mit aktuellen Bildern verschmelzen ließ. Daher wusste ich, welche Freude ich an der Retusche von Straßenzügen oder historischen Bildern entwickelte. Die Arbeit am damaligen Projekt hatte mir einen Impuls für etwas Neues gegeben.
Ich habe es als spielerisches Experiment gesehen. Ich wollte sehen, wie bekannte Straßen und Plätze aussehen, die komplett von Autos befreit sind. Ich war einfach neugierig. Der Effekt war atemberaubend. In dem Moment, als ich erstmalig eine Straße, die Reeperbahn, habe mit Bäume und Pflanzen in neuem Grün erstrahlen lassen, war ich begeistert!
Das war es.
Hier konnte ich meine Fähigkeiten einsetzen. Ich zeige eine Welt in der es keine Autos mehr gibt. Eine Welt die neu erblüht. Damals waren es noch nicht mal bewegte Bilder, keine Animationen, sondern einfache Vorher-Nacher-Bilder. Anfänglich nur Motive an Orten in Hamburg.
2. Konntest Du beobachten, dass sich mit der Zeit weitere Dinge bei Dir verändert haben, was bewussten Konsum oder kritisches Denken über das eigene Handeln betrifft? Unter anderem bist Du ja fleißiger Kunde bei runamics geworden.
Die Übung in Meditation und das Praktizieren von Achtsamkeit haben dafür gute Bedingungen geschaffen. So wie ich Achtsamkeit verstehe, hat sie nichts mit individueller Leistungssteigerung und so gar nichts mit Esoterik zu tun. Für mich ist es die Übung des Bewusstseins für die Welt außerhalb und innerhalb meiner selbst. Ich fühle mich verbunden zur Welt – und zu meinem Inneren. Achtsam zu sein, bedeutet gut zu beobachten und tief zu blicken. Das geübte Bewusstsein kann sich auch politisch oder sozial-engagiert äußern.
Mit Sicherheit würde ich heute keine utopischen Animationen gestalten, wäre Mediation und Achtsamkeit nicht regelmäßiger Bestandteil meines Alltags. Wie wäre es von engagierter Achtsamkeit zu sprechen? Übrigens sehe ich mittlerweile auch das Laufen als Teil dessen. Das Hinterherlaufen von Bestzeiten ist dem „Mindful Running“ gewichen.
Manchmal baue ich auch auf Läufen kurze Momente der Meditation ein. Der Jenischpark ist dafür ein wundervoller Ort! Es mag sich vielleicht widersprüchlich anhören – das Laufen bringt meinen Körper mittlerweile eher zur Ruhe, als dass es mich pusht. Es fördert mein Bewusstsein zur Mitwelt. Und ich lerne mich dabei zu beobachten. Den Geist zur Ruhe zu bringen. Ob beim Laufen, sitzend in der Mediation oder während des Mittagessens.
Dennoch versuche ich mich darin zu üben, mich nicht von der Verzweiflung überwältigen zu lassen. Sie würde womöglich Hoffnungslosigkeit in mir erzeugen. Das würde mich nicht zum Handeln antreiben, sondern lähmen. Ohne das ich teils verheerende politische Entscheidungen und fahrlässige Entwicklungen ausblende, versuche ich mich auf das zu konzentrieren, was gut läuft, wo ich heilsamen Wandel vermute.
Manchmal handelt es sich dabei, um sehr kleine Dinge. Es gibt zahlreiche größere und kleinere Initiativen, die sich überall auf der Welt zusammentun, um beispielsweise die Verkehrswende zu befördern – von São Paolo über Delhi bis nach Riga. Ich durfte einige dieser Menschen kennenlernen. Sie sind da und sie verändern unsere Welt – in kleinerem und größeren Maßstab. Das macht mir Hoffnung. Sie gilt es zu unterstützen. Damit wir immer mehr werden!
Es ist wie der Keim, der gesät wird. Erstmal braucht er gute Bedingungen, damit er überhaupt die Möglichkeit hat zu gedeihen. Den Humus auf dem er wachsen kann. Sobald sich diese Pflänzchen entdecken lassen, können wir sie gießen und pflegen. Außerdem ziehe ich sogar eher Motivation aus der unzureichenden Verkehrswende.
Alles voller Stehzeuge, Stau, Fahrradweg nicht vorhanden, buchstäblich atem-beraubende Städte, die vom Autoverkehr dominiert werden. Alles doof.
Doch genau hier ist das Potenzial zum Wandel groß. Hier müssen wir ansetzen. Zu erkennen, dass es hier nicht so bleiben wird, wie es ist. Es ist eine Notwendigkeit, dass es sich radikal verändert. Dass es hier ganz anders geht. Das möchte ich mit meinen utopischen Animationen vorweg nehmen, das möchte ich sichtbar machen. „No mud, no lotus!“, so hat es der buddhistische Mönch Thich Nhat Hanh beschrieben.
Aber bis auf wenige Ausnahmen wurden diese nur über den digitalen Weg gezeigt. Am liebsten würde ich meine Utopien überall dort zeigen, wo sie stattfinden. Das war neulich in Nairobi der Fall: mitten im Stadtzentrum wurde zur Rushhour eine Animation auf einer großen Videowand gezeigt – genau dort, wo sie spielt.
Davon würde ich mir viel mehr wünschen. Die Menschen hätten an einem Ort, den sie kennen, an dem sie täglich vorbeikommen, einen noch direkteren Zugang zur Vision.
Wenn ich an Orten vorbeikomme, die in einer meiner Animationen bereits zur Utopie wurden, komme ich mir vor, als würde ich durch eine Filmkulisse fahren! Durch die Arbeit an der Animation kenne ich jede Ampel und jeden Poller persönlich. Doch gebe ich ihnen niemals Namen. Sonst könnte ich sie nicht wegfliegen lassen!
Es mangelt nicht an Erkenntnissen. Es mangelt an tatkräftigen Handlungen. Zunächst braucht es nicht den aufwendig gestalteten Umbau. Für einen ersten Schritt würde es schon reichen, eine Straße für Menschen zu öffnen. Das muss konsequent passieren. Beispielsweise in dem dort keine Stehzeuge mehr zum Parken eingeladen werden und ein Transit für den Individualverkehr nicht mehr möglich ist.
Die Kreativität der Bürger*innen und ihr Engagement möge bereits zur Transformation in eine menschen- und mitweltfreundliche Gestaltung unserer Städte beitragen. Es wächst und gedeiht auch ohne große städtebauliche Pläne. Von politischer Seite können die Rahmenbedingungen und die Infrastruktur geschaffen werden, welche die Öffnung der Straßen für Menschen befördert.
Das sehen wir derzeit gut in Städten, wie Barcelona und Paris. Heutzutage sehen wir den Raum zwischen den Häusern, der in herausragendem Maße für Mobilität und Parkraum genutzt wird. Er wird von Autos dominiert.
Es könnte auch vielmehr der Lebensraum sein, der menschliche Bedürfnisse im Einklang mit der Mitwelt auf holistische Weise befriedigt: soziale Interaktion, Ernährung, Arbeit, Betriebsamkeit, Kreativität. Und natürlich auch Mobilität. Aber bitte im Einklang mit dem, was unsere Erde verträgt und heilsam für sie ist.
Wir können Verkehrswende. Wir müssen sie nur umsetzen – erst in den Köpfen, dann auf den Straßen!
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