Zyklusbasiertes Laufen - Interview mit Steffi Platt

Zyklusbasiertes Laufen - Interview mit Steffi Platt

Steffi Platt ist ehemalige Leistungssportlerin und Mittelstrecklerin, aktive Läuferin, leidenschaftlich gerne Lauftrainerin und Expertin für zyklusgerechtes Training. Ihre persönlichen Erfahrungen, eine schwere Verletzung durch Übertraining sowie die Erkenntnisse und Berichte anderer Sportlerinnen haben sie dazu bewogen, FIERCE RUN FORCE ins Leben zu rufen und damit den ersten Frauen-Laufclub mit zyklusorientiertem Training zu gründen.

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Liebe Steffi!


Schön, dass wir endlich zusammen kommen für ein paar Fragen. Ich freue mich sehr, vielen Dank für Deine Zeit.

1. Als Dein großes Thema hat sich ja zyklusorientiertes Lauftraining herauskristallisiert. Magst Du das einleitend einmal beschreiben und auch weshalb das für Dich zum Thema wurde.

Bei mir begann das ganze Thema vor mehr als vier Jahren, 2019, als ich einen schwerwiegenden Ermüdungsbruch im Kreuzbein hatte.

Ich war mittlerweile zum einen ohne Trainer unterwegs, lief ebenso ohne Traingsplan und bin in den beiden Jahren davor 2017 und 2018 beim The Speed Project mitgelaufen (550 km Staffellauf im gemischten Team von Los Angeles nach Las Vegas, durch die Wüste). Ich war damals in einer stark männlich geprägten, ambitionierten Laufcommunity unterwegs.


Die Verletzung war also die logische Konsequenz meiner Überbeanspruchung.


Mir fiel dann zunehmend auf, dass die wenigen Frauen in meiner Lauf-Community ebenfalls immer wieder mit Stressfrakturen, also Ermüdungsbrüchen der Knochen durch eine intensive und wiederholte Überbeanspruchung, zu kämpfen hatten. Und das war für mich das Zeichen, dass dort gewaltig etwas schief läuft.

Im Amateur- und Freizeitsport sollte sowas weniger bis gar nicht vorkommen. Wir bewegen uns ja in einem Bereich der eher gesundheitsherhaltend oder idealerweise gesundheitsfördernd sein sollte. Das brachte mich dann zunehmend zum Nachdenken und vor allem in Gespräche. Ich habe im Leistungssport gelernt auf meinen Körper zu hören und das auch gegenüber meinem Trainer zu kommunizieren.


Ich hab dann begonnen mich mit Ärzten auszutauschen und kam irgendwann auf das Thema „zyklusorientiertes Training“. Plötzlich machte das für mich komplett Sinn.


Sportmedizin und Gynäkologie geht nicht sonderlich Hand in Hand und daher blieb meine Suche nach der eierlegenden Wollmilchsau erstmal erfolglos, dafür haben die beiden Fachbereiche vermeintlich zu wenig miteinander zu tun.

Dann nahm ich mir vor, das Ganze selber in die Hand zu nehmen und fand sowohl eine tolle Sportmedizinerin, als auch eine ebenso wunderbare Gynäkologin, mit denen ich mich gut und professionell austauschen kann.

Ich musste auch erst älter als 30 werden, um zu verstehen, welche große Rolle der Zyklus der Frau spielt. Das Ganze startete einen Schneeballeffekt und mir fiel immer mehr auf, was sich noch alles ändern müsste, um eine geschlechtergerechte Versorgung im Sport leisten zu können.

2. Fierce Run Force - das ist Deine Crew, aber im Gegensatz zu den Urban Running Crews, die vor zehn Jahren wie Pilze aus dem Boden gesprossen sind, habt ihr andere Ansätze und Pläne. Berichte gerne.

Wir sind gar keine Crew, sondern ein Verein, der erste Verein mit zyklusgerechtem Training. Dafür haben wir ganz klassisch einen Verein gegründet, was in Deutschland gar nicht so einfach ist. Ich wollte aber im System Sport eine Wirkung hinterlassen und das Ganze auf so offizielle Beine wie möglich stellen.

Wenn wir Veränderung im Sport wollen, dann müssen wir eine Organisation haben, die dort relevant ist und das ist nun mal der Verein. Man hätte es alles einfacher haben können, aber uns war wichtig, der Sache einen dicken Stempel aufzudrücken und wirklich Veränderung anzustoßen.

Wir versuchen wo es geht, alles wir machen mit relevanten Inhalten zu begleiten und das ist auch eins der verbindenden Elemente unsere Mitglieder - die Arbeit mit der Thematik.

3. Wir als CIS Männer haben eine Menge Privilegien, ganz vieler bin ich mir bewusst, ich geb aber zu, dass ich bis vor wenigen Jahren noch völlig unwissend war, welche Vorteile wir bei Wettbewerben und der Trainingsabfolge und Regeneration haben. Wo denkst Du gibt es noch dringenden Nachholbedarf in der Laufwelt, egal ob bei Wettbewerben, Bekleidung, Werbung,…

Generell kann man sagen, dass der CIS Mann der Standard für alles ist. 
Das gesellschaftlich Relevanteste ist die Tatsache, dass Frauen in erster Linie die Care Arbeit zu Hause übernehmen und damit weit weniger Zeit für strukturiertes Training haben.

Neben Beruf und Kindern noch Sport machen? Für Männer wird das gesellschaftlich eher freigeschaufelt, denen gönnt man die Erholung von ihrem stressigen Alltag. Eine Frau wiederum muss sich das in der Akzeptanz erkämpfen.
Ebenso sind Frauen zumeist so sozialisiert, dass sie sich selber eher zurücknehmen und andere Menschen und deren Bedürfnisse priorisieren.

Da kommen wir und unser Sport dann ganz zuletzt, erst wenn alles andere abgedeckt ist. Das sorgt dann dafür, dass die körperliche und mentale Gesundheit leidet.

Ein weiterer Punkt ist das "Draußen-Laufen" als FLINTA (Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen).

Im Sommer können wir uns drauf einstellen, begafft zu werden, es wird gehupt und hintergepfiffen und im Gegensatz zu Männern können wir nicht nur das anziehen, in dem wir uns am wohlsten fühlen (wenig eben).

Im Winter wiederum wird es spät hell und früh dunkel, das schränkt uns wahnsinnig ein. Parks, unbegleitete Straßen, Wälder und kleinere Ortschaften - während das für einige kein Problem und schöne Ruhe bedeutet, denken andere dabei eben an Angst, umdrehen, keine Kopfhörer und lassen es eben nach der ersten schlechten Erfahrung gleich bleiben.

Und auch in der Darstellung hinkt es gewaltig: Das beginnt mit Werbung, da wird bei männlichen Athleten die Leistung und bei weiblichen Athletinnen die Optik in den Vordergrund gestellt. Magazine gehen ebenso mit dem Thema um und lange waren Farben von Laufbekleidung für Männer und Frauen so aufgeteilt, als ginge es um eine Gender Reveal Party. 

4. Du sprichst im Bereich des zyklusorientierten Trainings auch über Ernährung. Ich wusste zwar bereits, dass Frauen während der Periode Eisenmangel haben und mehr Magnesium zu sich nehmen müssen, aber es geht natürlich bei Dir deutlich tiefer. Wie baust Du Dir eigentlich dieses Wissen auf?

Für mich geht das alles Hand in Hand. Training, Zyklus, Ernährung. Wenn ich ambitioniert trainiere, dann muss ich mich ebenso überlegt ernähren, sonst komme ich früher oder später in ein Ernährungsdefizit.

Das ist oftmals auch genau das, womit Frauen hadern und wo sie unbewusst hineinstolpern. Der große Irrglaube, das Laufen diene in erster Linie dem Abnehmen, führt dann zu unsinniger Kalorienreduzierung und das wiederum dazu, dass wir nicht die optimale Leistung abrufen können.

Wir haben alleine durch den Zyklus schon die Baustelle, dass wir in der zweiten Zyklushälfte mehr Kalorien benötigen. Wenn wir unserem Körper diese verweigern, aber trotzdem so ambitionierte Ausdauertrainings absolvieren, enden wir im RED-S, also dem relativen Energie Defizit Syndrom.

Das beinhaltet nicht nur das Training, sondern kann jegliche körperliche und geistige Überanstrengung beinhalten, die gemeinsam dafür sorgen, dass der Körper überlastet ist. Bei uns äußert sich das bei den Hormonen und damit in einem gestörten Zyklus.

Im ungünstigsten Fall kommt es dann zu Amenorrhoe, also dem monatelangen Ausbleiben der Menstruation oder stattdessen zu sehr langen Regelblutungen. Das wiederum sorgt für Knochenveränderungen, die Knochendichte nimmt ab und dieses führt zu Stressfrakturen. Ein sehr böser Kreislauf.

5. Und zu guter Letzt, das Träumen: Was würdest Du gerne alles an der Laufwelt ändern? Gender Pay Gap, Bedrohungsszenarien bei nächtlichen Läufen, mangelnde Sichtbarkeit in Wettbewerben,… die Probleme sind ja ausreichend vorhanden, oder?

Einige Teile habe ich ja bereits in Frage drei beantwortet. Das Träumen will ich nie aufgeben und deshalb werde ich diese Träume weiterjagen. 

Gerade Gender Pay Gap betrifft nicht nur Profiathletinnen, sondern auch uns, die mit Marken zusammen arbeiten wollen. Natürlich wollen wir aufklären, informieren und unsere Sache weitertragen.

Aber dafür müssen wir vernünftig vergütet werden.

Oftmals ist das bei mir mit Recherche und jahrelanger Vorarbeit verbunden, daraus resultiert ein Wissensvorsprung. Ich liebe es das weiterzugeben, aber Marken und Magazine müssen aufhören, von uns dieses Wissen ohne Gegenleistung abzugreifen, nur um sich selber einen korrekten Anschein zu geben.

Und ich wünsche mir, dass die vernünftigen CIS Männer mit uns Seite an Seite kämpfen und uns nicht mit ihren Privilegien alleine lassen. Für FLINTA und somit für ALLE Menschen im Laufsport.

Und zu guter letzt: vielleicht überlegen wir uns, ob diese wettbewerbsgetriebene Denke uns das alles eingebracht hat: 

Immer mehr, schneller, weiter. Jeder möchte sich selber über Grenzen hinaus pushen und alle drumherum kommunizieren so. 
Warum nicht mal auf das schauen was uns gut tut? Glückseligkeit, Ausgeglichenheit, Gesundheit.

Vielen Dank Steffi für die spannenden Antworten und Einblicke.



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